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Die Neuronalen Ceroid-Lipofuszinosen

Die Neuronalen Ceroid-Lipofuszinosen (NCL) sind die häufigste Gruppe neurodegenerativer

Erkrankungen des Kindes- und Jugendalters. Ihre Inzidenz liegt bei 1:30 000 Lebendgeborene. Diese Krankheiten unterliegen, mit Ausnahme der adulten Form, autosomal rezessiver Vererbung. Die Hauptsymptome sind Erblindung, Demenz, motorische Ausfälle und therapieresistente Epilepsie. Die Krankheit führt unweigerlich zum frühen Tod der Patienten. Charakteristisch ist das Vorkommen von sogenanntem Ceroid-Lipofuszin, einem in den verschiedensten Geweben auffindbaren intrazellulären, lysosomalen Speichermaterial. Die Zelldegeneration beschränkt sich jedoch nur auf Nervenzellen. Der entscheidende Pathomechanismus, der zum Untergang ausschliesslich neuronaler Zellen führt, ist bis heute noch ungeklärt. Daher gestaltet sich die Entwicklung von Therapieansätzen schwierig und diese Krankheitsgruppe ist bislang unheilbar.

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Formen der NCL


Die Einteilung der Neuronalen Ceroid-Lipofuszinosen beruhte bisher hauptsächlich auf dem Alter bei

Erkrankungsbeginn sowie auf der Ultrastruktur des lysosomalen Speichermaterials. Somit wurden die klinischen Formen der NCL in drei klassische Formen und deren Varianten unterteilt: Zu den klassischen Formen gehören die kongenitale NCL, die infantile NCL (INCL) mit Erkrankungsbeginn in einem Alter von 10-18 Monaten, die spät-infantile NCL (Late Infantile NCL / LINCL) sowie die juvenile NCL (JNCL). Ausserdem wurden bisher drei Varianten der spät-infantilen Form beschrieben: Hierzu gehören die Finnische Variante, die Indisch-Iberische Variante und die Türkische Variante. Zu den Varianten der juvenilen klassischen Form gehören die Schottische Variante mit GRODS (granular osmiophilic deposits) sowie die “Northern Epilepsy with Mental Retardation” (EPMR).
Im Hinblick auf die Ultrastruktur des lysosomalen Speichermaterials sind sogenannte Granuläre Osmiophile Einlagerungen (GRODS) für die infantile Form typisch, während bei der spätinfantilen Form kurvilineare Einlagerungen und bei der juvenilen Form Kombinationen aus GRODS, kurvilinearen und rectilinearen Einschlüssen und sogenannten Fingerprint Bodies zu finden sind. Im Speichermaterial der verschiedenen NCL-Formen akkumulieren die Sphingolipid Aktivator Proteine (SAPs) A und D (INCL), die Untereinheit C der mitochondrialen ATP-Synthetase (LINCL und JNCL) sowie Beta-A4-Amyloid und Amyloid Precursor Protein (JNCL).
Die einzelnen NCL-Formen wurden bisher zehn Gendefekten zugeordnet. Diese sehen Sie in der folgenden Übersicht aufgeführt.

 

Tabelle 1: NCL-Varianten und deren zugehörige Gendefekte

Krankheitsbeginn

Gensymbol

Genlokus

Genprodukt

Kongenital (oder später)      
Kongenitale NCL CLN10 11p15 CtsD

Infantil (oder später)

     

Infantile NCL

CLN1

1p32

PPT1

Spätinfantil (oder später)

     

„Klassische“ Spätinfantile NCL

CLN2

11p15

TPP1

Finnische Variante

CLN5

13q22

Glykoprotein

Indisch-Iberische Variante

CLN6

15q21-q23

Membranprotein

CLN7-assoziierte türkische Variante

CLN7

unbekannt

 

CLN8-assoziierte türkische Variante

CLN8

8p23

Membranprotein

Juvenil

     

„Klassische“ Juvenile NCL

CLN3

16p12

Membranprotein

Nordische Epilepsie

CLN8

8p23

Membranprotein

 

CLN9

unbekannt

 

Adult

     

Adulte autosomal rezessive NCL

CLN4

unbekannt

 

Adulte autosomal dominante NCL

 

unbekannt

 

 

Im Folgenden soll zu jeder der in dieser aufgeführten Formen ein stichwortartiger Überblick sowie eine Strategie zur Diagnostik gegeben werden. Die hier vorgestellten Informationen sollen sozusagen nur als kurzes Nachschlagewerk zu den einzelnen NCL-Formen dienen. Wichtig ist aufgrund der Komplexität der Erkrankungen die Diagnostik individuell zu gestalten. Bei der Entscheidung, welche Diagnostik sinnvoll ist, stehen wir vom NCL-Netz gerne jederzeit beratend zur Seite (siehe Kontakt). Außerdem besteht an der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf die Möglichkeit, die gesamte Diagnostik in einem Zentrum durchführen zu lassen.

Zusätzliche Informationen zu den NCL finden Sie auch in dem Artikel des Deutschen Ärzteblattes „Die neuronalen Ceroid-Lipofuszinosen“ von Kohlschütter et al., Jg. 102, Heft 5, Februar 2005.
Diesen Artikel können Sie unter folgendem Link herunterladen:
http://www.aerzteblatt.de/v4/archiv/artikel.asp?id=45242
Für speziellere Informationen zu den einzelnen NCL-Formen verweisen wir auch auf die Zusammenstellung aktueller Publikationen hier auf der Homepage, zu finden unter dem Publikationen.

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Kongenitale NCL

Vererbung: Autosomal rezessiv
Erkrankungsbeginn: Intrauterin  bis erste Lebenstage
Genetik: Mutation im CLN10-Gen (CtsD)

Klinik:   - Zerebrale Krampfanfälle ab Geburt
  - Microcephalie ab Geburt
  - nur kurze Überlebenszeit

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Infantile NCL

Vererbung: Autosomal rezessiv

Erkrankungsbeginn: 10.-18. LM

Genetik: Mutation im CLN1-Gen (PPT1)

Klinik: - psychomotorische Entwicklungsstörung
  - Microcephalie durch progrediente Hirnatrophie
  - Visusminderung durch Befall von Photorezeptoren
  - muskuläre Hypotonie, später Spastik
  - Epilepsie
DD:   - Rett-Syndrom
  - Neuroaxonale Dystrophie (hier periphere Neuropathie)
  - Krabbe-Leukodystrophie
Diagnose:

- Mangel an Palmitoylprotein Thioesterase 1 (PPT1)

  (Enzymmessung in Leukozyten, Hautfibroblasten oder Trockenblutproben)

  - Mutationsanalyse (CLN1-Gen)
  - EM: Speichermaterial GRODS
  - MRT: Progrediente Hirnatrpohie
  - flaches EEG (im späteren Verlauf „Nulllinien-EEG)
Therapie:  - rein palliativ bisher
  - Spastik: - Baclofen 15-100 mg/kg p.o. täglich
    - Tizanidin 2-16 mg/kg
    - Fentanylpflaster, orale Opiate bei Schmerzen
    - Epilepsie: Lamotrigen, Valproat empfehlenswert

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Spätinfantile NCL


Vererbung: Autosomal-rezessiv
Erkrankungsbeginn: 3. Lebensjahr

Genetik: - Mutation im CLN2-Gen (TPP1) (Klassische Form)
  - Mutation im CLN5-Gen (Finnische Variante, selten)
  - Mutation im CLN6-Gen (Indisch-Iberische Variante, selten)
  - Mutation im CLN7-Gen (CLN7-assoziierte türkische Variante,selten)
  - Mutation im CLN8-Gen (CLN8-assoziierte türkische Variante, selten)
Klinik: - psychomotorische Entwickluungsstörung
  - therapieresistente Epilepsie
  - Visusverlust
Diagnose:  - Mangel an Tripeptidylpeptidase 1 (TPP1) bei CLN2-Gendefekt
    (Enzymmessung in Leukozyten, Hautfibroblasten oder Trockenblutproben)
  - Mutationsanalyse: CLN2 (häufig), CLN5, CLN6, CLN8 (selten)
  -EM: Speichermaterial, meist kurvilineare EInlagerungen

DD:    -seltene Varianten der klassischen Spätinfantilen NCL (CLN5, CLN6, CLN7, CLN8)

Therapie: -rein palliativ bisher
 

-Epilepsie: Lamotrigen, Valproat empfehlenswert

  Phenytoin, Vigabatrin nicht empfehlenswert

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Juvenile NCL

Vererbung: Autosomal-rezessiv
Erkrankungsbeginn: Schulalter

Genetik: - Mutation im CLN3-Gen (Klassische Form)
  - Mutation im CLN1-Gen (selten)
  - Mutation im CLN8-Gen (Nordische Epilepsie)
  - Mutation im CLN9-Gen (selten)

Klinik:  - Visusverlust durch Retinopathie
             - Demenz
             - Epilepsie (Grand Mal)
             - parkinsonartige Bewegungsstörungen
             - depressive Zustände
             - psychotische Phänomene mit Halluzinationen
Diagnose:  - Blutausstrich: Lymphozytenvakuolen
                    - Mutationsanalyse CLN3 (häufig), CLN8, CLN1 (selten)
                    - EM: Speichermaterial, Fingerabdruckprofile, Kurvilineare Einlagerungen
DD:       - Retinopathia pigmentosa
              - Hyperornithinämie
              - andere lysosomale Speicherkrankheiten
              - mitochondriale Speicherkrankheiten
              - peroxisomale Speicherkrankheiten (M. Refsum)
              - Nordische Epilepsie (kein Visusverlust) mit CLN8-Gendefekt
Therapie:   - rein palliativ bisher
                    - Epilepsie: Lamotrigen, Valproat empfehlenswert
                      Carbamazepin, Phenytoin nicht empfehlenswert
                    - Unruhe: Chloralhydrat
                    - Psychotische Symptome mit Halluzinationen: Behandlung gemeinsam mit Psychiater,
                      Levomepromazin, Clozapin, Risperidon

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Diagnostik der NCL

Bild 1: Übersicht zur diagnostischen Strategie

Durch die zunehmende Anzahl an Varianten der neuronalen Ceroid-Lipofuszinosen ist eine gezielte und vor allem ökonomische Strategie bei der Diagnostik sehr wichtig. Das obige Schaubild ist hierzu als Übersicht gedacht. Die Entscheidung, welche Diagnostik sinnvoll ist, ist im Einzelfall nicht immer so eindeutig. Bei Fragen stehen wir vom NCL-Netz (siehe Kontakt) jederzeit gerne zur Verfügung.

Zunächst ist zwischen einem Erkrankungsbeginn an Geburt oder im Kleinkindalter und einem Beginn im Schulalter zu unterscheiden.

1) Bei der kongenitalen NCL sind, im Gegensatz zu allen anderen NCL-Formen, die Kinder bereits ab Geburt eindeutig krank. Klinische Verdachtszeichen auf diese NCL-Form sind eine angeborene Mikrozephalie und zerebrale Krampfanfälle, die bereits intrauterin oder in den ersten Lebenstagen auftreten. Die Kinder überleben nur kurze Zeit. Besteht der Verdacht auf kongenitale NCL, sollte zunächst die Enzymaktivität von Cathepsin D in Fibroblasten oder Leuokozyten gemessen werden. Ist diese erniedrigt oder fehlend, sollte eine Mutationsanalyse des Cathepsin D Gens folgen.

2) Bei Erkrankungsbeginn im Kleinkindalter sollte zunächst die Enzymaktivität der Enzyme Palmitoylprotein Thioesterase 1 (CLN1-Gendefekt) und Tripeptidylpeptidase 1 (CLN2-Gendefekt) gemessen werden. Dies ist an der Universitätskinderklinik Hamburg im Stoffwechseldiagnostiklabor anhand von Trockenblut auf normiertem Filterpapier möglich. Bei erniedrigter oder nicht vorhandener Enzymaktivität eines der Enzyme steht die Diagnose CLN1 oder CLN2 schon fest. Zusätzlich kann daraufhin in der Humangenetischen Abteilung des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf unter der Leitung von Prof. Gal eine Mutationsanalyse durchgeführt werden. Dies ist insbesondere im Hinblick auf die Möglichkeit genetischer Beratung wichtig.

Wenn die Enzymaktivitäten der Palmitoylprotein-Thioesterase 1 und der Tripeptidylpeptidase 1 normal sind, sollte zunächst nach dem für die NCL-Krankheiten charakteristischen Speichermaterial gesucht werden. Dies kann sowohl an Lymphozyten als auch an Hautfibroblasten oder anderen Geweben elektronenmikroskopisch untersucht werden. Falls charakteristisches NCL-Speichermaterial gefunden wird, handelt es sich um das Vorliegen einer nicht-klassischen NCL-Variante. Hierbei kann es sich um einen Defekt im CLN6- oder je nach Klinik und Ultrastruktur des Speichermaterials auch im CLN8-Gen handeln. CLN5-Gendefekte sind bisher nur bei finnischer Bevölkerung beschrieben worden.. Diese Gene können nun einer Mutationsanalyse unterzogen werden

3) Bei Erkrankungsbeginn im Schulalter sollte zunächst der Nachweis von Lymphozytenvakuolen durchgeführt werden. Sind diese vorhanden, so gilt die Diagnose CLN3 bereits als gesichert. Zur Vervollständigung kann eine molekulargenetische Analyse des CLN3-Gens zusätzlich erfolgen. Bei Nicht-Vorhandensein einer Mutation im CLN3-Gen muss an eine CLN9-Variante oder auch an die Nordische Epilepsie (EPMR) mit Defekt im CLN8-Gen (Mutation c.88delG ) gedacht werden.


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